Sich auf Dummheit herauszureden,
wenn man irgendwann wegen rücksichtslosen Vergehens an den Lebensinteressen der Gemeinschaft doch zur Verantwortung
gezogen werden soll,
hat in Deutschland Tradtion.
Man findet bei der Masse stets breites Verständnis:
Die Chance selbst betroffen zu sein ist offensichtlich hierzulande besonders groß.
Die Ausflüchte sind bekannt:
Das konnten wir ja nicht wissen...
Das hat uns ja keiner gesagt...
Das haben wir so gelernt...
So sind wir erzogen worden...
Die haben uns belogen... (Wir können ja auch nicht selbst denken)
Das haben doch alle so gedacht...
Das hätten Sie doch auch nicht anders gemacht...
Wenn angesichts dessen, ein hochgeschätzter deutscher Professor trotzdem verzweifelt versucht,
den Betroffenen die kriminellen Verteilungsmechanismen der deutschen "Sozial"-Transfer-Systeme auf
Erstklässler-Niveau zu vermitteln,
trägt das schon groteske Züge und sieht dann wie folgt aus:
Bildhafter als diese Erklärung ist die dadurch beschriebene Geistesverfassung der Gesellschaft:
Des deutschen Paradoxons: Infantilisierung ohne Kinder.
Wenn die Menschen demnächst bemerken, wie Ihnen die gewohnten Strukturen unter dem Hintern wegbrechen,
weil sie aus Egoismus, Dummheit, Opportunismus, falsch verstandener Liberalität und Toleranz
ihrer Nachfolgegeneration das Leben verweigert haben, wird es wieder losgehen:
Das konnten wir ja nicht wissen...
Das hat uns ja keiner gesagt...
Das haben wir so gelernt...
So sind wir erzogen worden...
Die haben uns belogen...
Das haben doch alle so gedacht...
Das hätten Sie doch auch nicht anders gemacht..."
Nur eines wird neu sein:
30 Prozent der Bevölkerung waren plötzlich ungewollt kinderlos,
Männer werden sich nicht entblöden sich als impotent bedauern zu lassen,
um nicht wie Eltern mit in die Verantwortung genommen zu werden.
Vertrauensschutz?
Vertrauen darauf, dass die nächste Generation es widerstandslos hinnimmt,
denjenigen eine üppige Altersversorgung zu gewähren, die die Investitionsmittel für die nächste Generation verprasst haben,
anstatt in Kindererziehung zu investieren?
Vertrauensschutz für kinderlose Bestandsrentner und Pensionäre, auch in Zukunft weit üppiger von den Kindern anderer Leute versorgt
zu werden, als beispielsweise die Mütter der Versorger?
Es wäre doch mehr als fair, kinderlose Bestandsrentner/Pensionäre auf das Versorgungsniveau der Mütter -
und Mütter auf das Niveau kinderloser Bestandsrentner/Pensionäre zu setzen, oder wenigstens gleich zu versorgen.
Nach § 68 BGB gilt Vertrauensschutz nur dann, wenn Unkenntnis nicht auf Fahrlässigkeit beruht.
Das Funktionsprinzip der umlagefinanzierten Rentenversicherung zu leugnen, dass nämlich die Aktivgeneration Kinder und
Alte zu versorgen hat,
ist grob fahrlässig .
Wie kann man erklären, dass auch gesellschaftlich exponierte Perönlichkeiten,
denen man Erkenntnisfähigkeit unterstellt, grob fahrlässig verhalten,
wie sie auch die Ursache der deutschen Strukturkrise überall suchen,
nur nicht der physischen (Überalterung) und intellektuellen Degeneration (Pisa) der Gesellschaft?
Wie können die Verantwortlichen glauben, es handle sich um ein Problem des Wirtschaftswachstums in völliger Loslösung von der
demographisch bedingten strukturellen Dynamik der deutschen Gesellschaft?
Dietrich Bonhoeffer
1906 in Breslau geboren
1927 Promotion in Theologie
1935 Leiter des Predigerseminars
1936 Entzug der Lehrbefähigung durch die National-Sozialisten
1939 Politische Widerstandsbewegung
1943 Verhaftung
1945 Tod im Konzentrationslager Flossenbürg
lieferte 1943 die Erklärung:
"Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit.
Gegen das Böse läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen,
es läßt sich notfalls mit Gewalt verhindern, das Böse trägt immer den Keim der Selbstzersetzung in sich,
indem es mindestens ein Unbehagen im Menschen zurückläßt. Gegen die Dummheit sind wir wehrlos.
Weder mit Protesten noch durch Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht;
Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden -
in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch -, und wenn sie unausweichlich sind,
können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseitegeschoben werden.
Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden;
ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht.
Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen.
Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen; es ist sinnlos und gefährlich.
Um zu wissen, wie wir der Dummheit beikommen können, müssen wir ihr Wesen zu verstehen suchen.
Soviel ist sicher, daß sie nicht wesentlich ein intellektueller, sondern ein menschlicher Defekt ist.
Es gibt intellektuell außerordentlich bewegliche Menschen, die dumm sind, und intellektuell sehr Schwerfällige,
die alles andere als dumm sind. Diese Entdeckung machen wir zu unserer Überraschung anläßlich bestimmter Situationen.
Dabei gewinnt man weniger den Eindruck, daß die Dummheit ein angeborener Defekt ist,
als daß unter bestimmten Umständen die Menschen dumm gemacht werden, bzw. sich dumm machen lassen.
Wir beobachten weiterhin, daß abgeschlossen und einsam lebende Menschen diesen Defekt seltener zeigen als zur Gesellung neigende oder verurteilte Menschen und Menschengruppen. So scheint die Dummheit vielleicht weniger ein psychologisches als ein soziologisches Problem zu sein. Sie ist eine besondere Form der Einwirkung geschichtlicher Umstände auf den Menschen, eine psychologische Begleiterscheinung bestimmter äußerer Verhältnisse. Bei genauerem Zusehen zeigt sich, daß jede starke äußere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art, einen großen Teil der Menschen mit Dummheit schlägt. Ja, es hat den Anschein, als sei das geradezu ein soziologisch-psychologisches Gesetz. Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen. Der Vorgang ist dabei nicht der, daß bestimmte - also etwa intellektuelle - Anlagen des Menschen plötzlich verkümmern oder ausfallen, sondern daß unter dem überwältigenden Eindruck der Machtentfaltung dem Menschen seine innere Selbständigkeit geraubt wird und daß dieser nun - mehr oder weniger unbewußt -
darauf verzichtet, zu den sich er gebenden Lebenslagen ein eigenes Verhalten zu finden.
Daß der Dumme oft bockig ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen,
daß er nicht selbständig ist. Man spürt es geradezu im Gespräch mit ihm, daß man es gar nicht mit ihm selbst,
mit ihm persönlich, sondern mit über ihn mächtig gewordenen Schlagworten, Parolen etc. zu tun hat. Er ist in einem Banne,
er ist verblendet, er ist in seinem eigenen Wesen mißbraucht, mißhandelt. So zum willenlosen Instrument geworden,
wird der Dumme auch zu allem Bösen fähig sein und zugleich unfähig, dies als Böses zu erkennen. Hier liegt die Gefahr eines diabolischen Mißbrauchs. Dadurch werden Menschen für immer zugrunde gerichtet werden können.
Aber es ist gerade hier auch ganz deutlich, daß nicht ein Akt der Belehrung,
sondern allein ein Akt der Befreiung die Dummheit überwinden könnte.
Dabei wird man sich damit abfinden müssen, daß eine echte innere Befreiung in den allermeisten Fällen erst möglich wird,
nachdem die äußere Befreiung vorangegangen ist; bis dahin werden wir auf alle Versuche, den Dummen zu überzeugen,
verzichten müssen.
In dieser Sachlage wird es übrigens auch begründet sein, daß
wir uns unter solchen Umständen vergeblich darum bemühen, zu wissen, was »das Volk« eigentlich denkt,
und warum diese Frage für den verantwortlich Denkenden und Handelnden zugleich so überflüssig ist -
immer nur unter den gegebenen Umständen. Das Wort der Bibel, daß die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei (Psalm 3,10), sagt,
daß die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit ist.
Übrigens haben diese Gedanken über die Dummheit doch dies Tröstliche für sich, daß sie ganz und gar nicht zulassen,
die Mehrzahl der Menschen unter allen Umständen für dumm zu halten. Es wird wirklich darauf ankommen,
ob Machthaber sich mehr von der Dummheit oder von der inneren Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprechen."
Dietrich Bonhoeffer, 1943
aus: Widerstand und Ergebung [ S.16ff, ©1951]
(Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft)
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